„Frauen* sind häufiger von Depressionen und Essstörungen betroffen als Männer* “ – lautet die erste Aussage im Frauengesundheitsbericht des RKI unter Punkt 2.1.7. „Psychische Gesundheit“.
Nach Daten der AOK stiegen die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen von 11,1 % im Jahr 2008 (Männer*: 6,3 %) auf 14,3 % im Jahr 2017 (Männer*: 8,6 %) an. Mehr Arbeitsunfähigkeitstage bei Frauen* entstehen nur durch Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes (20,8 %). Ebenso stieg die Zahl der Frühberentungen aufgrund von psychischen- und Verhaltensstörungen von 19.950 im Jahr 2000 auf 42.677 im Jahr 2015 – mehr als eine Verdopplung trotz insgesamt sinkender Zahlen von Renten aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit.
Psychische und Verhaltensstörungen verursachen somit die höchsten Krankheitskosten bei Frauen* mit 27,7 Milliarden Euro und einem Gesamtkostenanteil von 14,6 %.
Wo könnten die Ursachen dieser Entwicklung liegen?
An der Entstehung psychischer Störungen sind verschiedene Faktoren beteiligt. Frauen* unterliegen zum Beispiel phasenweise anderen biologischen Abläufen als Männer** wie natürlichen hormonellen Schwankungen, Schwangerschaft oder Wechseljahren. Sie sind außerdem häufiger sozial benachteiligt durch Alleinerziehung von Kindern, geringere Einkommen und Renten und werden häufiger Opfer von Gewalterfahrungen als Männer*. Frauen* leben zudem über lange Phasen mit Mehrfachbelastungen (ca. 82% der 40- bis 59-jährigen Frauen* in Deutschland, lt. einer Studie des Allensbacher Meinungsforschung-Instituts).
Weitere Erklärungen weisen auf Unterschiede in der ärztlichen Diagnosestellung hin. Hierbei könnten unbewusste Geschlechterrollenbilder auf Seiten von Ärzten und Ärzt*innen von Bedeutung sein: So erhalten Frauen* bei gleicher Symptomatik häufiger eine psychische, Männer hingegen eine somatische Diagnose.
Welches sind die häufigsten psychischen Störungen?
Depressive Störungen
Depressionen und depressive Symptome treten oft in Folge von oder zusammen mit körperlichen Erkrankungen, anderen psychischen Störungen, chronischem Stress oder lebensverändernden Ereignissen auf. Durch hormonelle Veränderungen zum Beispiel während der Schwangerschaft und nach der Geburt treten depressive Episoden zudem überproportional häufig auf. Die Prävalenz für arbeitslose Frauen* ist deutlich höher als die der Berufstätigen. Ebenso verhält es sich bei Alleinerziehenden, Frauen* mit niedrigerem sozioökonomischem Status und bei Frauen* jenseits des 65. Lebensjahres.
Angststörungen
Angststörungen sind gekennzeichnet durch eine überdauernde, quälende Angst, bzw. unangemessene Verhaltensweisen, die diese Angst verringern sollen. Es gibt situations- oder objektbezogene konkrete Ängste wie Platzangst und Tierphobie, oft vergesellschaftet mit körperlichen Symptomen wie Schwindel, Übelkeit, o.ä. Diese Ängste beeinträchtigen die Betroffenen nur bedingt. Dagegen massiv ist die Beeinträchtigung durch generalisierte, unspezifische Ängste und Panikstörungen, oft verbunden mit depressiven Störungen und Substanzabhängigkeit.
Man geht davon aus, dass neurobiologische, genetische, hormonelle und psychosoziale Faktoren einen Einfluss auf die Entstehung von Angststörungen haben und als Erklärungsansatz für Geschlechterunterschiede herangezogen werden können.
Essstörungen
Sie lassen sich im Wesentlichen unterteilen in Magersucht (Anorexia nervosa), Ess-/Brechsucht (Bulimie) und Binge-Eating-Störung (regelmäßig auftretende Essanfälle ohne gewichtsregulierende Maßnahmen). Häufig treten Essstörungen als Mischformen auf. Von Magersucht und Bulimie sind insbesondere heranwachsende Mädchen und junge Frauen* betroffen (28,9% der Mädchen und 15,2% der Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren). Bei Frauen* beträgt die 12 Monats-Prävalenz der Magersucht 1,2%. Die Wahrscheinlichkeit an Magersucht zu versterben, beträgt 5,5%. Sie hat damit die höchste Letalitätsrate unter allen psychiatrischen Erkrankungen. Genetische, neurobiologische, individuell-psychologische und soziokulturelle Einflüsse, sowie Schlankheit als gesellschaftlich vermitteltes Schönheitsideal oder mangelnde innerfamiliäre Abgrenzung tragen zur Krankheitsentstehung bei.
Substanzabhängigkeit/ Abhängigkeitsstörungen
Bei den psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen wird unterschieden zwischen Alkohol, Opioiden, Cannabinoiden, Kokain, Stimulanzien, Halluzinogenen, flüchtigen Lösungsmitteln (Schnüffelstoffe), Tabak, Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie multiplem Substanzgebrauch und dem Konsum sonstiger psychotroper Substanzen. Die Abhängigkeit von Schmerzmitteln, Schlafmitteln und Beruhigungsmitteln ist bei Frauen* im mittleren Erwachsenenalter am höchsten. Substanzkonsum bei Frauen* dient häufig der seelischen Entlastung sowie dem Erhalt der Funktionsfähigkeit, z. B. aufgrund von Belastungen in Beruf und Familie.
Suizid
Von allen Suiziden werden 65 % bis 90 % durch psychische Erkrankungen verursacht, häufig durch Depressionen. 2017 starben in Deutschland 2.251 Frauen* durch Suizid (Männer 6.990). Suizidversuche sind bei Frauen*, vor allem jüngeren, häufiger als bei Männern. Die Anzahl der vollzogenen Suizide ist bei Männern höher, was u. a. mit der Wahl von gewalttätigeren Suizidmethoden zusammenhängt. Weitere Gründe für die Geschlechterunterschiede werden darin gesehen, dass psychische Erkrankungen bei Frauen* eher diagnostiziert werden, sie sich eher Hilfe suchen und ihre Behandlungsbereitschaft stärker ausgeprägt ist.
Fazit
Obwohl eine Zunahme an Krankschreibungen und Frühberentungen in Deutschland aufgrund psychischer Störungen zu verzeichnen ist, kann diese in Studien nicht in Form gestiegener Prävalenzen gezeigt werden. Als mögliche Gründe werden die größere Bedeutung der psychischen Gesundheit in den Arbeits- und Lebenswelten, die gestiegene Aufmerksamkeit, die Enttabuisierung von Depression sowie eine Veränderung des Diagnose- und Krankschreibungsverhaltens von Ärztinnen und Ärzten diskutiert – also eine (verhalten) positive Entwicklung.
Womit kann die psychische Gesundheit gestärkt werden?
Als Ressourcen und Schutzfaktoren für psychische Gesundheit gelten laut Frauengesundheitsbericht des RKI Wohlbefinden am Arbeitsplatz, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, die Wertschätzung für die geleistete Tätigkeit sowie ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit. Weitere Faktoren sind die Zufriedenheit mit Familien- und weiteren sozialen Beziehungen, soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeit (Überzeugung, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können), Kohärenzsinn (positive Grundhaltung gegenüber der Welt und dem eigenen Leben) und Widerstandsfähigkeit (Resilienz).
Quelle:
Robert Koch-Institut (Hrsg) (2020) Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland.
Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gemeinsam getragen von RKI und Destatis.
RKI, Berlin